Auf die Plätze!

Citizen Science in deiner Stadt

Mehrsprachigkeit gemeinsam erforschen

© IDS

Welche Forschungsfragen und -methoden verfolgen wir mit unserem Citizen-Science Projekt „Die Sprach-Checker – So sprechen wir in der Neckarstadt“? 

Wie können Kinder und Jugendliche ihren mehrsprachigen Alltag im Mannheimer Vielfaltsquartier Neckarstadt-West erforschen – gemeinsam mit Forschenden des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache und seinen Kooperationspartnern, dem Campus Neckarstadt-West, der Alten Feuerwache Mannheim gGmbH und dem Verein Neckarstadt Kids e.V.?

Wir wollen die Potenziale von Citizen Science in einem sprachbezogenen Projekt ausloten: 

  • für die Etablierung vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen den jungen Citizen Scientists und der sprachwissenschaftlichen Forschung, 
  • für hochwertige Bildungsangebote im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele und 
  • für neue Impulse im Bereich der Sprachkontakt- und Mehrsprachigkeitsforschung. 

In diesem Beitrag skizzieren wir die Ziele, Fragen und Methoden unseres Projekts und geben Einblicke in die bisher durchgeführten und im Jahr 2023 geplanten Aktionen. 

„Zusammenleben in Vielfalt“, dafür steht Mannheim.[1] Menschen aus über 100 Nationen leben im Vielfalts-quartier Neckarstadt-West. Das bringt eine Sprachenvielfalt mit sich, die aus der Perspektive des Stadtteils Chancen, aber auch Herausforderungen birgt. Die Kenntnis der sprachlichen Situation in einer Gesellschaft ist die Basis für Bildungsprozesse. Daher ist das Vielfaltsquartier der ideale Ort, um sich gemeinsam mit lokalen Kooperationspartnern in bürgerwissenschaftlichen Projekten mit der Sprachenvielfalt zu beschäftigen und für Bildungsgerechtigkeit und kulturelle Teilhabe einzusetzen.

Forschungsfragen, -ziele und -methoden des Citizen-Science-Projekts die „Sprach-Checker“

Mit den Sprach-Checkern wollen wir uns der Frage nähern, wie sich die mehrsprachige Situation im Stadtteil möglichst adäquat und genau aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen und ihrer Eltern beschreiben lässt. Wir möchten dadurch Bewusstsein und Wertschätzung für die Sprachkompetenzen der Kinder und Jugendlichen und die sprachliche Besonderheit im Viertel schaffen.

Wir verstehen Citizen Science als gegenseitigen aktiven Forschungsprozess (vgl. Shirk et al. 2012), in welchem die Kinder und Jugendlichen mitwirken, indem sie: 

  • Forschungsfragen zur Beschreibung ihrer mehrsprachigen Umgebung entwickeln,
  • Sprachdaten (z.B. Audio- und Videoaufnahmen von sprachbiografischen Interviews) sammeln, 
  • Sprachdaten kategorisieren (z.B. dokumentierte sprachliche Spuren im öffentlichen Raum) und 
  • die Methoden und Ergebnisse bewerten (z.B. durch die gemeinsame Reflexion der Aktivitäten in den Aktionen). 

Der Sprachgebrauch, die Spracherfahrung und das Sprachempfinden der jungen Citizen Scientists sind im Projekt der vorrangige Forschungsgegenstand. 

Citizen Science kann in unserem Projekt dazu beitragen, dass:

  • sich die Forschung daran orientiert, welche Aspekte für die Kinder und Jugendlichen in ihrem Leben mit und in verschiedenen Sprachen wichtig sind; 
  • sich verengte Perspektiven verändern, indem der besondere Wert der Mehrsprachigkeit fokussiert wird und die (jungen) Citizen Scientists durch den Prozess des Mitforschens Wertschätzung für die eigenen Sprachkompetenzen unmittelbar erfahren und diese so besser für sich nutzbar machen können;
  • die jungen Citizen Scientists sowie beteiligte Erwachsene sprachwissenschaftliche Methoden wie Sprachenportraits, sprachbiografische Interviews und Linguistic Landscaping kennenlernen und dadurch Vertrauen in die Forschung aufbauen; 
  • im gemeinsamen Austausch spontansprachliche und authentische Sprachdaten generiert und Zeichen für Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum gesammelt und kartiert werden können;
  • neue wissenschaftliche Fragestellungen zur Entwicklung multilingualer Fähigkeiten, zur Bedeutung von Sprachstandsmessungen oder den Auswirkungen mehrsprachiger Sozialisation entstehen und Forschungsmethoden erprobt und überprüft werden können.[2]

Fast alle Kinder zeichnen mindestens zwei Sprachen in ihre Sprachenportraits ein

Sprache gehört uns allen und ist daher als Forschungsgegenstand für ein bürgerwissenschaftliches Vorhaben prädestiniert. Im Auftaktworkshop während des Ideensprints am 20. September 2022 haben die Kinder in Sprachenportraits eingezeichnet, welche Sprachen sie sprechen. Sprachenportraits (vgl. Busch 2018) sind eine spielerische Methode, um die Sprachbiografien von Menschen zu erfassen. In den Gesprächen über ihre Profile konnten die Kinder ein Bewusstsein dafür entwickeln, welche Sprachen sie in welchen Lebenslagen und mit welchen Personen in der Familie, Schule und Freizeit sprechen. Es wurde dabei deutlich, dass die Kinder selbst noch nicht darüber nachgedacht haben, welche Leistung es ist, mehrere Sprachen zu sprechen.

IDS Auftaktworkshop im Kaisergarten am 20.09.2022: Sprach-Checker Imran zeigt uns sein Sprachenportrait. © IDS
IDS Auftaktworkshop im Kaisergarten am 20.09.2022: Sprach-Checker Imran zeigt uns sein Sprachenportrait. © IDS

Ein Buch über den sprachlichen Alltag in der Neckarstadt entsteht

Mit Aktion 1 wurde im November direkt an den Auftakt-Workshop des Ideensprints angeschlossen. Ziel der damit beginnenden Workshopreihe ist es, mit den Kindern ein Buch zu entwickeln, das sich mit ihrem sprachlichen Alltag in der Neckarstadt befasst. Es ging im ersten Workshop zunächst darum, über das Vorlesen zu verstehen, wie Geschichten aufgebaut sind, und Ideen zu sammeln, was in dem geplanten Buch über den sprachlichen Alltag in der Neckarstadt unbedingt vorkommen sollte, also welche Figuren und Gefühle nicht fehlen dürfen und an welchen Orten die Figuren sich begegnen.

„Die Kinder sprudeln vor Ideen“ (RNZ, 5.12.2022)

Berichte von Martina Senghas in SWR2 am 18.10.2022, von Luca Rehse-Knauf im Deutschlandfunk am 17.11.2022 und von Manfred Ofer in der Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ) am 5.12.2022 vermitteln Eindrücke von den ersten Citizen-Science-Aktionen der Sprach-Checker.

Was soll in unserem Buch vorkommen? Die Sprach-Checker sammeln Ideen. ©IDS
Was soll in unserem Buch vorkommen? Die Sprach-Checker sammeln Ideen. ©IDS

In den bisher erfolgten und folgenden Aktionen stehen immer das gemeinsame Forschen, das Formulieren von Fragen und die Methodenvermittlung im Mittelpunkt. Ab Januar 2023 werden die Sprach-Checker in einer mehrteiligen Workshopreihe ihr Sprachenbuch der Neckarstadt zusammen mit der Kinderbuchautorin und Illustratorin Anke Faust und Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern des IDS in Zusammenarbeit mit dem Kulturzentrum Alte Feuerwache Mannheim und dem Campus Neckarstadt-West und den Neckarstadt Kids weiterentwickeln und ihre Arbeit im Kinder-und Jugendprogramm des Literaturfestivals Lesen.Hören 17 präsentieren. Sprachenportraits aus dem Workshop im Ideensprint und Ergebnisse aus Aktion 3 – Feldforschung mit Jugendlichen ab 13 Jahren, die sprachliche Spuren nach Methoden des Linguistic Landscaping (vgl. Gorter 2014; Cindark/Ziegler 2016) in den Straßen der Neckarstadt sammeln – werden in das Buch einfließen. Über diese und folgende Aktionen, u.a. auch zu Erfahrungen und Ergebnissen der geplanten sprachbiografischen Interviews und der Darstellung erster Forschungsergebnisse und Erkenntnisse aus dem Projektprozess, werden wir in den folgenden Blogartikeln berichten.

[1] Vgl. die Mannheimer Erklärung für ein Zusammenleben in Vielfalt [Stand: 16.12.2022]

[2] Die Erfahrungen im Projekt „Die Sprach-Checker – So sprechen wir in der Neckarstadt“ sind wertvoll für den Programmbereich "Sprachforschung und Citizen Science", der seit 2022 am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache aufgebaut wird. 

Literatur

  • Busch, Brigitta (2018): Das Sprachenportrait in der Mehrsprachigkeitsforschung. In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 93, S. 53-70. http://www.lcm.unige.it/polyphonie/upload/16014694270.pdf (Stand: 19.12.2022).
  • Cindark, Imbrahim/Ziegler, Evelyn (2016): Mehrsprachigkeit im Ruhrgebiet: Zur Sichtbarkeit sprachlicher Diversität in Dortmund. In: Ptashnyk, Stefaniya et al. (Hg.): Gegenwärtige Sprachkontakte im Kontext der Migration. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, S. 133-156.
  • Gorter, Durk (2014): Linguistic Landscape studies. In: Brisard, Frank/Gras, Pedro/D'hondt, Sigurd et al. (Ed.): Handbook of Pragmatics Online.  Volume 18. Amsterdam: John Benjamins, pp. 01-34. https://doi.org/10.1075/hop.18.lin2 (Stand: 19.12.2022).
  • Shirk, Jennifer L./Ballard, Heidi L./Wilderman, Candie C. et al. (2012): Public Participation in Scientific Research: a Framework for Deliberate Design. In: Ecology and Society, 17 (2). DOI: 10.5751/ES-04705-170229 (Stand: 19.12.2022).

     

Die Sprach-Checker - So sprechen wir in der Neckarstadt

In dem Preisträger-Projekts 2022-2023 können Kinder und Jugendliche aus dem Vielfaltsquartier Neckarstadt-West in Mannheim als Sprach-Checker gemeinsam mit Sprachforschenden ihre individuelle Sprache(n) und die Sprache(n) in ihrer direkten Umgebung neu entdecken. In dem Dialog auf Augenhöhe können Fragen der Kinder und Jugendlichen thematisiert werden, die für sie in ihrem Leben mit und in verschiedenen Sprachen wichtig sind. Forschende erfahren so mehr über die mehrsprachige Wirklichkeit in der Stadtgesellschaft.