Auf die Plätze!

Citizen Science in deiner Stadt

Wie läuft’s? Engagement und Motivation von Bürger*innen

Foto: Unsplash/ Mauro Mora

Bürger*innen für die Teilnahme an einer Citizen-Science-Aktion zu mobilisieren und die Begeisterung aufrechterhalten ist eine zentrale Frage für viele Citizen-Science-Projekte. Mit unseren aktuellen Preisträger*innen haben wir darüber gesprochen, wie sie das angehen und welchen Herausforderungen ihnen dabei begegnet sind. Außerdem erfahren wir, welche Kommunikationsformate für Austausch und Feedback genutzt werden und was Bürger*innen durch eine Teilnahme an den Projekten lernen können. Die Fragen wurden beantwortet von Stephan Kaiser vom Kulturhaus Hamburg-Süderelbe mit dem Projekt Stadtrandgeschichten, Dr. Christine Möhrs vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache mit dem Projekt Die Sprach-Checker – So sprechen wir in der Neckarstadt und Dr. Robert Hecht vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung mit dem Projekt Colouring Dresden.

 

Wie mobilisiert ihr Bürger*innen für euer Citizen-Science-Projekt?

Stadtrandgeschichten: In unserem Projekt versuchen wir die Bürger*innen vor allem durch persönliche Ansprache zu gewinnen. Wir haben gemerkt, dass wir hier im Stadtteil-Kulturzentrum durch verschiedene Angebote  interkulturell sehr gut aufgestellt sind und schon viele Menschen kennen, die wir ansprechen können. Darüber mobilisieren wir die meisten. Gerade in der Entstehung ist außerdem die Idee, dass wir “Satelliten” bilden. Das bedeutet, dass sich Interessierte auch gegenseitig interviewen können. So können wir auch Menschen einbeziehen, die nicht fließend Deutsch sprechen. Bei der Idee finde ich besonders spannend, ob Interviews, die in der Muttersprache geführt werden, anders verlaufen. 

Die Sprach-Checker: Wir arbeiten bei unseren Aktionen sehr eng mit lokalen Kooperationspartner*innen im Stadtteil zusammen: Bildungs- und Förderinstitutionen wie der Campus Neckarstadt-West, der Verein Neckarstadt Kids e.V., die Jugendförderung der Stadt Mannheim, die Alte Feuerwache und viele weitere. Die Konzeption der Aktionen stimmen wir eng mit den Partner*innen ab, was ein interessantes und für die jeweilige Zielgruppe abgestimmtes Angebot schafft. Durch diesen Kontakt und die enge Verbindung mit den Kooperationspartner*innen entstehen bürger*innennahe Ideen, die an deren Interessenlage anknüpfen.

Colouring Dresden: Die Vielfältigkeit der Kanäle und Formate ist ein wichtiger Schlüssel, um verschiedene Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Wir versuchen Bürger*innen über Pressemitteilungen, den Institutsverteiler, Postkarten und Flyer, aber auch über Veranstaltungen zu erreichen. Und dann gibt es natürlich noch unsere vielfältigen Mitmachangebote. Wir versuchen möglichst viele Teilnahmemöglichkeiten anzubieten - egal ob man draußen an der frischen Luft mappen möchte oder lieber vom Bildschirm aus, ob man Daten spenden, am Konzept mitarbeiten oder Programmcodes mitentwickeln will. 

Was plant ihr, um das Engagement und die Motivation der Bürger*innen aufrechtzuerhalten?

Stadtrandgeschichten: Wir versuchen Menschen durch spannende Geschichten zu begeistern. Wir haben eine Geschichtswerkstatt. Das kann eine Motivation für Menschen sein, sich länger mit dem Thema zu beschäftigen. Wir wollen auch Veranstaltungen anbieten, wo wir zusammen essen, klönen, vielleicht gemeinsam einen Film gucken und uns über unsere Erfahrungen austauschen. In unserem Projekt spielen der zwischenmenschliche Kontakt und das gegenseitige Interesse eine extrem wichtige Rolle.

Die Sprach-Checker: Bei allen Aktionen steht auch immer der Spaß ganz oben auf der Agenda. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Räume von Veranstaltungen immer offen, herzlich und als niedrigschwellige Begegnungsräume gestaltet sind und multikulturelle Snacks für gute Stimmung sorgen. Immer wenn wir mit Kindern zusammenarbeiten, sind bei öffentlichen Veranstaltungsformaten die Eltern, Großeltern oder Bekannten ausdrücklich mit eingeladen. Transparenz ist uns sehr wichtig. Indem sie sehen, was wir gemeinsam erarbeiten, wollen wir sie motivieren, sich (weiterhin) am Projekt zu beteiligen. Und sie werden selbstverständlich auch bei den Endergebnissen (z. B. dem Kinderbuch) namentlich als Autor*innen erwähnt.

Colouring Dresden: Wir informieren alle Interessierten regelmäßig auf unseren Social-Media-Kanälen, der Webseite und dem Newsletter über Veranstaltungen, Aktionen und neue Ergebnisse. Das wichtigste Format sind für uns aber die digitalen Stammtische, die wir anbieten. Damit erreichen wir zwar nicht so viele Menschen, aber diejenigen, die wirklich ernsthaftes Interesse haben. Auch über E-Mail bieten wir den Bürger*innen die Möglichkeit, mit uns in Kontakt zu treten, Fragen zu stellen oder Verbesserungsvorschläge zu äußern. 

Was sind Herausforderungen, die ihr bei der Rekrutierung und Motivation von Teilnehmenden erlebt habt?

Stadtrandgeschichten: Eine Herausforderung, die uns begegnet ist, dass viele Bürger*innen großes Interesse zeigen und die Idee spannend finden, sie dann aber am Ende doch aus verschiedensten Gründen nicht an dem Projekt teilnehmen wollen oder können. Eine weitere Herausforderung ist der große Wunsch der Teilnehmenden nach Anonymität.  Diese Herausforderung zu lösen ist nicht einfach, wenn wir für die Forschung oder das Theater O-Töne der Interviewten brauchen. Deshalb müssen wir das immer transparent mit den Teilnehmenden absprechen.

Die Sprach-Checker: Entscheidet man sich für ein Citizen-Science-Projekt mit Kindern und Jugendlichen, ist es wichtig, die Konzepte auf diese Zielgruppe sehr passgenau abzustimmen sowie Konzentrationsspannen, Ansprache und Motivation bei Kindern und Jugendlichen zu bedenken. Außerdem müssen die Eltern mit im Boot sein. Das bedeutet, dass wir diesen Personenkreis immer mitdenken, anschreiben und informieren müssen. Es gibt auch sprachliche Hürden, denn nicht alle Eltern verstehen Deutsch. Wir begegnen diesen Hürden, indem wir auch hier mit den lokalen Bildungs- und Fördereinrichtungen auf Augenhöhe über geeignete Formen der Ansprache reden und auf die mehrsprachigen Kompetenzen der Pädagog*innen zurückgreifen.

Colouring Dresden: Auch in unserem Projekt zeigt sich die Herausforderung bei der Rekrutierung, dass viele Menschen Interesse zeigen, von den Interessierten jedoch meist nur wenige auch tatsächlich mitmachen. Es wird spannend herauszufinden, welche Gründe dieses Phänomen hat. Was die Aufrechterhaltung der Motivation angeht,  wird es sicherlich interessant zu beobachten, welche Wirkung die verschiedenen Formate auf die Beteiligung und Motivation haben werden.

Welche Formate und Kanäle nutzt ihr mit den Bürger*innen für Kommunikation und Feedback?

Stadtrandgeschichten: Das wichtigste Format, wenn man es denn so nennen will, ist der zwischenmenschliche Kontakt und Austausch, das Zusammentreffen und Klönen. Das Projekt lebt vom direkten Austausch. Darüber hinaus haben wir eine eigene Homepage aufgebaut und sind auch auf Social Media aktiv. Aber im Moment konzentrieren wir uns vor allem auf die direkten Gespräche. 

Die Sprach-Checker: Wir berichten über alle Aktivitäten auf den Social-Media-Kanälen des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache. Auch durch den Einbezug der lokalen Presse wollen wir möglichst vielfältig und breit gestreut die Bürger*innen informieren. Besonders wichtig sind persönliche Gespräche und die Begegnungen, bei denen wir in Kontakt treten mit den beteiligten Kindern und Jugendlichen, aber genauso auch mit den Eltern, Geschwistern, Großeltern und natürlich auch mit Interessierten aus dem Stadtteil, die unsere öffentlichen Veranstaltungen besuchen.

Colouring Dresden: Auch wir nutzen zur Kommunikation unsere Social Media Kanäle. Feedback und Verbesserungsvorschläge bekommen wir hauptsächlich über unsere E-Mail. Darüber hinaus führen wir bei Veranstaltungen Onlinebefragungen durch. Durch die Nutzung der App erhalten wir außerdem implizites Feedback von den Nutzer*innen, beispielsweise darüber, wie viele Merkmale ein*e Nutzer*in in einem bestimmten Zeitraum beigetragen hat. Das macht es uns auch möglich, umgekehrt den Nutzer*innen Feedback zu geben. Das kann zum Beispiel durch Nutzer*innenstatistiken sein, die für Mapper*innen interessant sind. Diesen Gamificationcharakter wollen wir auch in Zukunft weiter stärken. Zusätzlich können wir die App auch nutzen um die Wirkung zu evaluieren - z. B. indem wir Nutzungsumfragen durchführen.

Was können Bürger*innen durch die Teilnahme lernen/erleben?

Stadtrandgeschichten: Es ist schön, in dem Projekt zu beobachten, wie viel Freude es machen kann, die eigene Geschichte zu erzählen. Menschen, die mitforschen wollen, können lernen, wie man historisch forscht, wie man Archive durchgeht. Man kann seine detektivische Neugier und Freude daran entdecken, Dinge herauszufinden, die man vorher noch nicht kannte oder wusste. Man kann sich im Theaterspielen ausprobieren und auf die Bühne gehen. Insgesamt kann man Freude haben an den Lernprozessen, die man im Projekt durchläuft.

Die Sprach-Checker: Wer an Aktionen und Veranstaltungen der Sprach-Checker teilnimmt, oder diese begleitet, erlebt, was es im Alltag der Menschen wirklich bedeutet, in einem Vielfaltsquartier zu leben: Wir blicken vielleicht mit einem besonderen Augenmerk auf die Sprache, aber die Perspektive auf Kulturenvielfalt, Respekt, Akzeptanz, Wertschätzung und Diversität läuft in diesem Projekt auf allen Ebenen immer parallel mit. Wir möchten mit dem Projekt einen Beitrag zu einem Perspektivwechsel leisten, damit das Hauptaugenmerk nicht mehr ausschließlich auf Defiziten (mangelnde Sprachkompetenz), sondern mehr auf vorhandenen bzw. aktivierbaren und entwickelbaren Ressourcen liegt. Globale Nachhaltigkeitsziele bekommen durch Projekte dieser Art aus unserer Sicht ein Gesicht und werden lebendig.

Colouring Dresden: Das erste, was man in unserem Projekt erleben und lernen kann, ist, gemeinsam etwas zu machen - das sorgt für ein Gemeinschaftsgefühl und Vernetzung. In unserem Projekt kommen Menschen mit ähnlichen Interessen zusammen und können gemeinsam Spaß haben. Ein weiterer Punkt ist die Wissensvermittlung. Wir haben monatliche Vortags- und Dialogreihen im Zentrum für Baukultur. Dabei steht immer auch der Spaß im Vordergrund, allem voran bei den verschiedenen Formaten, die wir anbieten: von Spaziergängen über Hackathons an der Uni bis hin zu Schulaktionen und Schüler*innenpraktika. 

 

Dieser Artikel ist Teil der Blogreihe “Wie läuft’s?”. In der Reihe befragen wir unsere aktuellen Preisträger*innen zu verschiedenen Themen der Umsetzung ihrer Projekte.

Leon Altfeld

Leon unterstützt mit:forschen! seit April 2024 als studentische Hilfskraft in der Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit. Er studiert Geography: Global Change and Sustainability an der Universität Wien.