Jede Woche kommt im MICROBELIX-Labor am HIPS in Saarbrücken mit der Post eine Ladung kleine blaue Pappschachteln an. Ihr Inhalt: die Bodenproben, die Citizenscientists an ausgewählten Stellen in der Natur entnommen und verschickt haben. Ganz offensichtlich bestehen sie aus einigen Löffeln Erde für jeden Probenort, manchmal mit noch erkennbaren Pflanzenteilen darin, sorgfältig verpackt in Plastiktütchen mit Barcode-Aufdruck. Der weniger offensichtliche, weil mit bloßem Auge nicht sichtbare Inhalt: viele Millionen im Boden lebende Mikroorganismen wie Viren, Pilzsporen und Bakterien!
Bei MICROBELIX geht es um die Entdeckung neuer Bakterien die sich mittels raffinierter chemischer Wirkstoffe in ihrer speziellen Umgebung im Boden behaupten können, trotz schier übermächtiger Konkurrenz durch unzählige andere Kleinstlebewesen im selben Krümel Erde. Wie also entlockt man nun im Labor der frisch eingesendeten Bodenprobe die besonders interessanten Bakterien, die vielleicht einen pharmazeutisch wirksamen Naturstoff produzieren können? Insbesondere dann, wenn es sich möglicherweise um neue Bakterienarten handelt, die noch nie jemand vorher gefunden hat? Denn neu bzw. unbekannt sind tatsächlich die meisten bodenlebenden Mikroben: aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass bisher kaum 3 % aller existierenden Bakterienarten jemals in einer Laborumgebung kultiviert und damit gewissermaßen von den Forschern katalogisiert wurden.
Um also die Bodenbakterien aus der eingesendeten Erdprobe zu locken, bedienen sich die Mikrobiologen und Mikrobiologinnen im Labor ein paar Tricks, die wieder und wieder erstaunlich gut funktionieren. Das liegt daran, dass bestimmte Bakterien in der Erde einen speziellen Lebensstil pflegen und dabei gewissermaßen einem ganz individuellen Ernährungsplan folgen. Dazu gehören beispielsweise die sogenannten Myxobakterien, die am HIPS in Saarbrücken seit langer Zeit intensiv erforscht werden und die wir auch im MICROBELIX Projekt regelmäßig finden. Manche Myxobakterien-Arten nutzen in der Natur einfach das große Angebot an biologischen Materialien am Boden wie z.B. heruntergefallenes Laub oder verrottende Holzstücke, die sie abbauen um sich davon zu ernähren. Andere wiederum haben es auf Mikroorganismen fremder Arten abgesehen, nach denen sie regelrecht auf die Jagd gehen um sie zu zersetzen und auf diese räuberische Weise an Nährstoffe gelangen.
Der Kniff der Wissenschaftler um diese Bakterien im Labor aufzuspüren besteht darin, den stets hungrigen Bakterien gewissermaßen eine besonders schmackhafte Beute anzubieten. Das passiert auf einer Agar-Platte: ein durchsichtiges Plastikschälchen mit Deckel, das ein weiches Grundmedium enthält, verfestigt durch den Bestandteil „Agar“, den mancher vielleicht von bestimmten Kochrezepten kennt. Darauf wird eine kleine Menge der Bodenprobe aufgetragen, wenige Krümel reichen bereits, und diese mit etwas sterilen Wasser angefeuchtet. Nun werden um die Bodenprobe herum die Lockstoffe für die Bodenbakterien platziert.
Durchaus überraschend dabei: dabei handelt es sich gar nicht um seltene Chemikalien mit komplizierten Namen! Denn solchen Bakterienarten, die in der Naturumgebung gerne organisches Material abbauen, bieten die Forscher beispielsweise im Labor einfach ein feuchtes Stückchen Papier an – das besteht aus Cellulose, auf das bestimmte Arten der Myxobakterien erfahrungsgemäßig einen so großen Appetit entwickeln, dass sie sich bereitweillig in die Richtung des Papierschnipsels bewegen und diesen besiedeln.
Bakterienarten die es auf lebendige Zellen anderer Mikroorganismen als bevorzugte Nahrungsquelle abgesehen haben freuen sich hingegen über eine „Luxus-Mahlzeit“ in Form eines kleinen Klecks einer Hefelösung auf der Agarplatte: frische Bäckerhefe, für einige Spezies der Myxobakterien einfach unwiderstehlich! Die Hefe wird dabei also gewissermaßen zum mikrobiellen „Lockvogel“ für eine gefräßige Bakterien-Räuberbande, die dafür gerne ihr „Versteck“ in dem Krümel Erde verlässt und sich als Schwarm auf den Weg macht, um die Beute aufzuspüren und zu verzehren.
Wieder andere Bakterienarten sind weniger an Hefezellen als vielmehr an anderen Bakterien als Beute interessiert. Diesen bieten die Wissenschaftler im MICROBELIX Labor als Lockstoff ein extra für diesen Zweck herangezüchtetes Bakterium namens Escherichia coli an – richtig, es ist das aus dem menschlichen Darm bekannte, besonders schnell wachsende Bakterium mit dem wenig leckeren Geruch. Einige Myxobakterien sind allerdings darauf spezialisert E. coli aufzuspüren und zu „erlegen“, obwohl sie selbst viel langsamer wachsen als das Beutebakterium. Sie müssen also über sehr ausgefeilte Wirkstoff-Kombinationen verfügen, um das gegnerische Bakterium zur Strecke zu bringen. Und das ist nun übrigens schon beinahe die allgemeine Definition eines Antibiotikums: ein Stoff, von Mikroorganismen gebildet, der gegen andere Mikroorganismen wirkt!
Wenn die Wissenschaftler am HIPS also beobachten, wie ein neues Bodenbakterium aus der Erdprobe herauskriecht und besonders aktiv darin ist seine mikrobielle Beute zu bekämpfen, dann steigt die Spannung: wird es sich in weiteren Tests tatsächlich als neuartiger Wirkstoffproduzent herausstellen? Wie sieht das chemische Molekül aus, das es im Lauf der Evolution zu diesem Zweck erfunden hat? Taugt es vielleicht für die Entwicklung eines neues Medikaments? Bis dahin ist es zwar meistens noch eine jahrelange Forschungsreise, aber sie beginnt bereits mit dem auffälligen bunten Bakterienschwarm aus der Bodenprobe eine MICROBELIX Bürgerwissenschaftlers.
Übrigens: die Prozedur mit der die Forscher am HIPS neue Bakterien aus Bodenproben entdecken funktioniert nicht nur im Labor, sondern ihr könnt sie bei unseren Veranstaltungen wie dem Pop-up Labor auch selbst live durchführen und danach beobachten, was auf der Agar-Platte innerhalb weniger Tage passiert! Besucht uns dazu gerne bei einem zukünftigen MICROBELIX Event.