Seit Herbst 2023 setzen unsere drei Preisträger*innen-Projekte ihre Konzepte in die Tat um. In Gesprächen gaben sie uns Einblicke in ihre Entwicklungen, erste Ergebnisse und Erfolge, aber auch Herausforderungen. Zum Auftakt interessiert uns die Zusammenarbeit mit den Bürgerforschenden. Was motiviert sie zur Zusammenarbeit? Und wie motivieren sie wiederum die Bürgerforschenden zur Teilnahme? Dazu haben wir mit Daniel Krug vom Projekt Microbelix aus Saarbrücken, Christian Brinkmann vom Projekt Heimat Reloaded aus Witten und Anna Köster-Eiserfunke vom Projekt Community Health aus Hamburg gesprochen.
Warum habt ihr euch für den Citizen-Science-Ansatz in eurem Projekt entschieden?
Daniel ist studierter Chemiker und arbeitet als Mikrobiologe im Labor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland. Im Projekt Microbelix ist er für den wissenschaftlichen Arbeitsprozess verantwortlich und fungiert als Schnittstelle zwischen den Forschenden. Zusammen mit seinen Kolleg*innen entwickelt er Sequenziertechnologien, die die Gene aus den Bakterien der Bodenproben extrahieren.
Daniel: “Natürlich würden wir am liebsten die ganze Zeit selbst Proben sammeln gehen. Dieser Input ist die wichtigste Quelle für Biodiversität in unserer Forschung. Wir brauchen also kontinuierlich neue Proben und das kann man sehr gut erreichen, indem man Leute dazu einlädt, sich daran zu beteiligen. Die Teilnehmenden helfen uns beim ersten und wichtigsten Schritt in diesem langen Workflow, indem sie immer wieder neue Orte für Bodenproben auswählen.”
Auch das Heimat-Reloaded-Team aus Witten verbringt viel Zeit drinnen, allerdings nicht im Labor, sondern in Depots, auf Dachböden und in Archiven. Dort werden Objekte verschiedener regionalgeschichtlicher Sammlungen, die über die Jahre eingelagert wurden, wieder ans Tageslicht geholt und untersucht. Das Material ist schon da - warum also Bürgerforschung?
Christian bezeichnet sich selbst als den “Mann für die Kommunikation” im Projekt Heimat Reloaded. Er betreut die Geschäftsstelle des Vereins für Orts- und Heimatkunde der Grafschaft Mark (VOHM) in Witten, einem Kooperationspartner im Projekt. Christian managt die interne und externe Kommunikation und kümmert sich um die Organisation von Teilnehmenden bis hin zu Förderanträgen.
Christian: “Das ergibt sich bei uns eigentlich fast zwangsläufig. Die Objekte kommen vom Verein für Orts- und Heimatkunde, dem Märkischen Museum Witten und dem hiesigen Stadtarchiv. Wir wollen auch abseits unserer direkten Kooperationspartner geschichts- und heimatinteressierte Menschen ansprechen, die eben nicht unbedingt einen wissenschaftlichen Hintergrund haben. Und wenn wir uns mit Dingen beschäftigen, die eine stadtgeschichtliche Relevanz haben, dann ist es wichtig, dass man die mit und für interessierte Bürger*innen aufbereitet, um deren Interessen und deren Sound auch wirklich zu treffen. Interesse und Perspektive aus der Zivilgesellschaft ist für das Projekt so wichtig.”
Im Hamburger Projekt Community Health stehen nicht Objekte, sondern Menschen im Mittelpunkt der Forschung.
Anna arbeitet an der Poliklinik Veddel, die sich um die multiprofessionelle Versorgung von Patient*innen in diesem Hamburger Stadtteil kümmert. Das bedeutet, dass die Menschen nicht nur medizinisch behandelt, sondern auch psychologisch und sozial beraten werden. Im Projekt Community Health nimmt sie eine koordinierende-wissenschaftliche Rolle ein, indem sie die Interviews begleitet, protokolliert und auswertet.
Anna: “Aus forschungsethischer Sicht ist es wichtig, dass die Menschen, die von der Forschung betroffen sind, auch ein Mitspracherecht bei der Datenerhebung haben. Darüber hinaus werden Gespräche oft erst möglich, wenn Nachbar*innen mit Nachbar*innen über Themen sprechen, als wenn das aus einer institutionellen Perspektive wie dem Stadtteilzentrum geschieht. Der Zugang ist niedrigschwelliger als zum Beispiel über eine Hochschule. So schaffen wir es, die Vielfalt der Perspektiven im Stadtteil einzufangen. Die Wissensproduktion wird gerade dadurch bereichert, dass Menschen mitwirken, die sonst im öffentlichen Diskurs marginalisiert werden. Unser Projekt ist also auch eine Form von Empowerment für diese Gruppen.”
Wie findet und motiviert mensch potenzielle Mitforschende?
Daniel: “Da spüren wir tatsächlich noch die Nachwirkungen des Wettbewerbs. Der hat hier im Saarland für einen ganz erheblichen Bekanntheitsgrad gesorgt, sodass wir fast täglich neue Anmeldungen bekommen. Das heißt natürlich auch, dass wir hinter den Kulissen sehr viel zu tun haben, um das logistisch zu stemmen und die Kommunikation so flächendeckend wie möglich zu machen. Zusätzlich halten wir den Beteiligungsprozess einfach, um die Motivation zu steigern. ”
In Witten konnte rman insbesondere auf persönlichem Wege Bürgerforschende für das Projekt gewinnen.
Christian: “Für uns war es anfangs schwierig, das Projekt bekannt zu machen. Man kann Plakate in der Stadt aufhängen oder in der Tageszeitung werben, aber damit erreicht man oft immer die gleichen Leute. Also sind wir z.B. mit einigen Objekten in das soziokulturelle Zentrum Werk°Stadt gegangen, wo gleichzeitig ein Flohmarkt stattfand und haben dort unser Projekt vorgestellt. Die Idee war, dass sich Interessierte quasi in ein Objekt verlieben und es mit uns weiter erforschen wollen. Hat ganz gut geklappt – manchmal natürlich mit etwas anstupsen. So entstand eine persönliche Bindung zwischen dem Forschungsobjekt und den Forschenden. Jetzt haben wir eine Gruppe aus 15 verlässlichen Mitforschenden. ”
In Hamburg werden die Bürger*innen dadurch motiviert, dass sie Veränderungen in ihrem Stadtteil anstreben. Das Forschungsprojekt ist für viele eine Möglichkeit, Verbesserungsvorschläge einzubringen. Und das langfristig.
Anna: “Ich sehe hier vier verschiedene Motivationsfaktoren. Erstens haben wir im Projekt nicht nur einen Moment der gemeinsamen Datenerhebung, sondern eigentlich einen Prozess, in dem wir über mehrere Monate zusammenarbeiten. Wir setzen dabei auf eine hohe Verlässlichkeit der Citizen Scientists und kontinuierliche Zusammenarbeit. Um dieses ehrenamtliche Engagement auch anzuerkennen und zu erleichtern, zahlen wir Aufwandsentschädigungen, das wäre ein zweiter wichtiger Punkt. Drittens gibt es tatsächlich ein hohes Engagement für den Stadtteil. Den Stadtteilforscher*innen sind Veränderungen aus persönlicher Sicht einfach wichtig und deshalb möchten sie die Forschung auf den richtigen Weg bringen. Letztendlich fahren wir mit dem Team auch gemeinsam auf Konferenzen, präsentieren gemeinsam die Ergebnisse und das ist natürlich auch etwas, wo die Leute andere Kontakte bekommen, andere Sozialräume. In der Gruppe der Mitforschenden ist diese Idee der Wissensproduktion, um auch Veränderungen zu bewirken, die Hauptmotivation.”
Ganz konkret: Wie kann mensch sich als Bürgerforscher*in in euren Projekten einbringen?
Microbelix zeigt, wie gewinnbringend die Laborarbeit mit Citizen Scientists sein kann.
Daniel: “Wir bieten eine niederschwellige Beteiligung: Die Bürgerforscher*innen schicken uns ihre Bodenproben und müssen sonst nichts tun. Dann warten sie darauf, dass wir uns vielleicht melden, weil wir etwas Spannendes gefunden haben. Das heißt, dass der erste Kontakt mit dem Projekt sehr kurz ist. Aber letztendlich wollen wir auch immer mehr Einblick geben in unsere Arbeit, in unsere Arbeitsweisen und vielleicht auch dazu anregen, sich das ein bisschen anzueignen und zu praktizieren. Wir laden Leute ins Labor ein, um mit uns die Bodenproben zu analysieren. Natürlich ist da nicht Platz für hunderte Interessierte, aber für uns war die Erstellung der Rahmenbedingungen ein großer Fortschritt. ”
Auch bei Heimat Reloaded engagieren sich Interessierte über einen längeren Zeitraum im Projekt. In Workshops lernen die Citizen Scientists ihr ausgewähltes Objekt und die wissenschaftliche Herangehensweise kennen, um dann eigenständig weiter zu forschen und die Geschichte(n) zu erfassen.
Christian: “Von den ausgestellten Objekten haben sich Interessierte eines ausgewählt, das sie weiter erforschen möchten. Dann sind wir in Workshops gegangen, in denen wir mehr über die Methoden der Geschichtswissenschaften und der Präsentation von historischen Objekten lernten, zum Beispiel zu Recherchemöglichkeiten und Quellenarbeit. In unserem Stadtarchiv informierten wir etwa über ein digitales Zeitungsarchiv, in dem man auch von Zuhause aus mit Stichwortsuche arbeiten kann. Und dann gehen wir natürlich auch regelmäßig in den gegenseitigen Austausch, um voneinander zu lernen und uns zu unterstützen. ”
Bei Community Health gibt es ebenfalls ein festes Team von Stadtteilforscher*innen, die den Kontakt zu den Bewohner*innen herstellen und die Interviews durchführen.
Anna: “Unser Projekt lebt von einem längerfristigen Engagement. Wir treffen uns ungefähr alle zwei Wochen, um das weitere Vorgehen zu besprechen, um Schulungen zu machen, um die qualitativen Interviews durchzuführen. Diese Schulungen haben dann die Stadtteilforscher*innen dazu befähigt, eigenständig qualitative Interviews durchzuführen. Gemeinsam haben wir Pop-Up-Wohnzimmer durchgeführt und besprechen aktuell die Auswertung. Natürlich sind die ersten Interviews nicht perfekt, aber man kann trotzdem was hören, was vielleicht in anderen Interviews nicht zur Sprache kommt.”
Vielen Dank an Anna, Christian und Daniel für die Gespräche.
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