Das Projekt „Stadtrandgeschichten“ möchte auf Grundlage von Zeitzeug*inneninterviews Migrationsgeschichte in Süderelbe erforschen. Doch wer soll interviewt werden? Wer führt die Interviews? Und was passiert dann mit den gesammelten Geschichten? Diesen Fragen widmete sich die erste Aktion des Projektes an einem vorweihnachtlichen Abend im Kulturhaus Süderelbe.
Dinner der Vielfalt – unter diesem Motto stand die Veranstaltung, die nicht nur das Projekt und die Mitmach-Möglichkeiten vorstellen sollte, sondern auch Menschen zusammenbringen wollte, die sich sonst nicht getroffen hätten. Das Projektteam um Stephan Kaiser hatte sich überlegt, einen Anlass zu schaffen, der für Menschen aus allen Kulturen attraktiv sein kann: Essen. Denn Essen ist Heimat. Und gemeinsam essen verbindet.
„Du bringst etwas für das Buffet mit, das du mit deiner Herkunft, Identität oder eigenen Geschichte verbindest. Zum Beispiel deinen Lieblingssnack oder ein Gericht, das dich an deine Heimat erinnert. Und wir stellen Dir die ‚Stadtrandgeschichten‘ vor, was wir vorhaben und wie du mitmachen kannst.“ Die Gäste brachten allerlei Leckereien mit nach Neugraben: libanesische Halawet el Jibn, schwäbischen Kartoffelsalat, französische Fritons de Canard, iranisches Lavashak aus Maulbeeren, norddeutschen Zuckerkuchen und anderes mehr. Die Teller und Schälchen auf den Tischen wurden zu Brücken: Sie boten Gesprächsanlässe, riefen Nachfragen hervor, förderten offene Gespräche. So plauderten die Teilnehmer*innen über die eigene Herkunft und die Wahrnehmung von Migration in der Region. Kulinarische Tipps und Vorlieben waren natürlich auch Teil der Unterhaltungen.
Fadi Doudar, interkultureller Trainer, und Janina Blohm-Sievers, freie Theaterpädagogin und Leiterin des Forschungstheaters der „Stadtrandgeschichten“, wollten es aber nicht bei Gesprächen belassen und luden die Teilnehmenden ein, über den Tellerrand zu schauen.
Zunächst ging es mit den beiden gedanklich zu einer Übung auf die Insel Albatros: Die Teilnehmenden beobachten das Verhalten eines Mannes und einer Frau aus der fiktiven, fremd wirkenden Albatros-Kultur. Sie teilten ihre Beobachtungen mit und interpretierten das Gesehene. Die Teilnehmenden haben dabei an sich selbst erfahren, wie schwierig es ist, in Beschreibungen keine Interpretationen einfließen zu lassen. Sie lernten, dass Handlungen immer vor dem Hintergrund der eigenen kulturellen Sozialisation interpretiert werden, es aber auch andere Möglichkeiten der Interpretation gibt. Die Runde reflektierte zusammen, welche Aspekte ihre eigene Wahrnehmung beeinflusst haben und erweiterte so ihre Fähigkeit, kulturelle Überschneidungen und Differenzen wahrzunehmen und auszuwerten. Die Übung half dabei zu verdeutlichen, dass den Menschen und gesammelten Geschichten im Projekt mit Offenheit und Wertschätzung zu begegnen ist.
Um Wertschätzung ging es auch in dem anschließenden Erstkontakt mit der Theaterbühne. Janina Blohm-Sievers lud die Gäste zu einer Reihe kleinerer Übungen ein, die die Hemmschwelle zur Bühne abbauen und die Lust an Kreativität fördern sollten. So wurde ein Stuhl pantomimisch in dutzende andere Objekte verwandelt. Und eine kurze Passage aus einem Interview mit einer Zeitzeugin wurde kurzerhand in Szene gesetzt, indem die Teilnehmenden die zentrale Aussage mit einer Emotion verbanden und diese auf der Bühne gemeinschaftlich in Handlung übersetzten.
So viel Aktivität und Interesse der Gäste machten das Dinner der Vielfalt zu einem großen Erfolg. Das Projektteam hofft darauf, dass viele der Teilnehmenden sich nun aktiv im Projekt einbringen werden. Weitere Aktionen wie ein Besuch im „Café Welcome“ und ein Get Together auf dem örtlichen Wochenmarkt sind für den Januar geplant. Die Arbeitsgruppen nehmen Anfang Februar ihre Forschungsarbeit auf. Weitere Informationen auf www.stadtrandgeschichten.de